Ein halbes Jahr existiert sie nun, die Notunterkunft in der Turnhalle. Und kaum etwas wird besser. Aussichten gibt es wenige. Aufenthaltstitel oder auch nur eine Anhörung hat seit Ende des letzten Jahres niemand mehr bekommen. Theoretisch dürfen immer mehr unserer Bewohner sich für wenig Geld eine Wohnung anmieten, doch woher sollen sie sie nehmen? Wo finden? Wie sattsam bekannt, war das Angebot vorher schon mehr als mager.
Hostels, Hotels und Ferienwohnungen werden augenblicklich geräumt. Wohl zu teuer, nicht adäquat belegt, was auch immer. Ich habe mich um die Argumentation nicht geschert, sie interessiert mich nicht. Relevant ist, dass die Menschen zurück in die Notunterkünfte getrieben werden. Container werden jetzt lieber auch keine gebaut. Sondern was Langfristigeres. Wann? Keine Ahnung.
Die Stimmung sinkt, das Warten zermürbt, macht müde und killt die Motivation. Fast alle wollen zur Schule, studieren, arbeiten, kaum einer darf das jetzt. Es ist schwer herauszufinden, wer, wann und warum. Und vor allem: woher er die Genehmigung bekommt. Viele dürfen nicht einmal offiziell Deutsch lernen. Das weiß nur niemand, denn Politik und anderen Gestalten liegt viel daran, die Bringschuld allein bei den Geflüchteten anzusetzen, sie darzustellen als diejenigen, die gezwungen werden müssen sich zu integrieren, unsere Sprache, unsere Werte, unsere Leitkultur zu erlernen und sich anzupassen. Wie wenig Gelegenheit sie dazu bekommen, darüber wird die Öffentlichkeit eher nicht in Kenntnis gesetzt.
Konflikte werden häufiger, eskalieren. 200 Menschen mit unterschiedlichsten Geschichten, mit einer unermesslichen Bandbreite an Träumen und Erwartungen, sozialen und ethischen Hintergründen, an Lebensarten, leben Tag für Tag Bett an Bett. Na klar kracht es da. Ein Wunder ist, dass es nicht öfter passiert. Und nicht mehr eskaliert. Psychische Probleme brechen sich Bahn oder entstehen erst, wer weiß das schon so genau.
Wir versuchen es mit Kleinigkeiten, denn am Großen und Ganzen lässt sich wenig rütteln. Mehr Freizeitaktivitäten, ein Sommerfest, mehr Selbstverantwortung. Schulungen für Wohnungssuche, Ausbildungsmöglichkeiten, individuelle Hilfe, wo immer sie möglich ist. Der beste Sozialarbeiter in town, Herr D., versucht, die Essensituation zu verbessern, was zumindest uns bereits ein köstliches Probeessen beschert hat. Er hat auch die Spendenaktion für Leihlaptops forciert, die „ein bisschen Spaß“, wie O. sagt, bringen können. Oder auch Arbeitserleichterung. Information.
O. lebte ein paar wenige Monate in einer Wohnung, die er jetzt wieder räumen musste. Er ist zurück in der Turnhalle, die Tränen, die in seinen Augen standen, als er kam um zu fragen, ob wir ihn wieder aufnehmen können, sind versiegt. Er macht das Beste daraus, lernt ab 12 Uhr nachts, da ist es am ruhigsten. Hat angefragt, ob er ein paar der jungen Männer, seine Freunde, die noch keinen Deutschkurs besuchen dürfen, unterrichten darf im Haus. Aus sehr egoistischen Gründen bin ich froh, ihn bei uns zu haben. Lieber wäre mir, er hätte eine dauerhafte angemessene Bleibe.
Es fühlt sich an, als stehen wir allein auf weiter Flur. Wenn wir am Ende unseres Vermögens angekommen sind wie bei Y., der getriebenen Seele mit psychischen und Drogen induzierten Problemen, dann scheint da – nichts mehr zu sein.
Die Verwaltung versagt in den einfachen Dingen, in den komplizierten ist es vollkommen sinnlos, mit ihr in Kontakt zu treten. Im Landesamt scheint niemand übrig zu sein, der oder die gewillt oder in der Lage ist, in irgendeiner Weise unterstützend oder auch sonstwie zu agieren.
Mir fehlt die Sprache, um die Unfähigkeit, Herzlosigkeit und Ineffizienz dieser und aller anderen beteiligten Behörden zu beschreiben. Wenn Integration oder was immer es ist, das passieren muss, damit wir mit unseren neuen MitbürgerInnen zu einem friedlichen und im besten Fall inspirierenden Zusammenleben finden, in Berlin scheitert, dann ist das zu großen Teilen von diesen zuständigen Behörden zu verantworten, die nicht einmal das pure Verwalten mehr hinbekommen.
Im Fall von Y. hat auch das Krankenhaus versagt, warum auch immer. Kein Interesse, Überforderung? Trotz großem Engagement vom Sozialpsychiatrischen Dienst und einer hoch motivierten Amtsärztin. Interessant wäre zu wissen, ob auch so schlecht gearbeitet wird, wenn es nicht um geflüchtete Menschen geht. Ich hoffe, Y. überlebt. Manchmal macht es keinen so großen Spaß. Hier auf dieser Welt, in dieser Stadt, in der Turnhalle.