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Posts Tagged ‘Iran’

Kapitel Eins

„Ja“, meint M., der schon eine Weile hier ist, „wir leben nicht frei in unserem Land. Aber viele leben trotzdem gut, vor allem die Männer. Und nicht jedem liegt das Leben hier: dort hast Du immer jemand um Dich, Du bist quasi nie allein. Hier immer. Das lässt sich oft schwer ertragen. Die Frage ist, warum Du weggehst: weil Du dort nicht mehr sein kannst, oder weil Du denkst, woanders ist es besser. Es werden einige zurückkehren.“

Kapitel Zwei

„Ich möchte zurück“, erklärt der junge Mann, der im Büro steht. „Warum?“ „Ich habe dort, wo ich herkomme, ein Haus, ein Auto, einen kleinen Laden. Ich lebe dort nicht schlecht.“ Naja, denkst Du, dann sehen wir mal zu, wie wir ihm dabei helfen können, auf schnellstem Weg wieder in seine Heimat zu gelangen. Ein paar Stunden später steht er mit einem Wachmann in der Tür, einem Wachmann, der vor längerer Zeit aus demselben Land geflohen ist. „Jetzt erzähl‘ mal, wirklich“, sagt der Wachmann. Und langsam, von Tränen unterbrochen, entsteht die ganz andere Geschichte: von Grausamkeit, Angst und Verfolgung. Von der Familie, der Frau, den Kindern, den Eltern, die jetzt aus der unmittelbaren Gefahrenzone gebracht wurden und in einer Ruine hausen – ohne fließend Wasser, ohne Strom. Wovon sie leben? Wer weiß. Wie lange sie überleben? Kann keiner sagen.
Er hat nichts mehr, der junge Mann, die Idee war, der Kräftigste wagt den langen Weg, um dann die Schwächeren sicher und schnell nachzuholen. Er dreht durch vor Sorge und schnell und sicher geht hier gar nichts. Er will zurück, weil er denkt, ihnen so vielleicht besser beistehen zu können. Oder wenigstens mit ihnen zusammen zu sterben. Auch der Wachmann hat Tränen in den Augen.

Kapitel Drei

Die Sirenen heulen. Der Krankenwagen ist auf dem Weg, jemand hat sich die Hände aufgeschnitten, überall im Bad ist Blut. Er wird mitgenommen, hält es in der Psychiatrie nicht aus und dort auch nicht. Er läuft ihnen weg, kommt zurück, will nirgends richtig bleiben. Was ist los? Worum geht es? Er will zurück in den Krieg, dort ist seine Frau, dort ist seine Familie. Mittendrin.
Er hat nicht viel überlegt, was er sich von der Flucht erhofft. Eigentlich wollte er dort bleiben, aber das ist unmöglich. Hier ist es auch unmöglich, er wird immer wieder behandelt wie Dreck, ohne Respekt, „es gibt keine Ehre“, sagt er: nicht in seinem Land, aber auch nicht beim Anstehen in den Behörden, nicht in der vorherigen Unterkunft, in der keiner ist, den man ansprechen kann, der sich kümmert, in der er von der Security gedemütigt und sogar geschlagen wird. Von Unterstützung ist keine Rede, bei dem, von dem er selbst nicht wirklich weiß, was es ist.
Aber nicht einmal dabei, wieder in der Krieg zurückzukehren, hilft ihm jemand. „Dorthin führen wir niemand zurück, das geht nicht.“ Außerdem haben sie seinen Pass, wer weiß, wo er abgeblieben ist, interessiert auch keinen. Nicht beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, nicht bei der Ausländerbehörde, nirgendwo anders. Keiner ist zuständig und keinen interessiert’s.
Uns schon, mich schon. Ich sichere ihm zu, dass wir ihm helfen, auch wenn es mir das Herz bricht, ihn in den Krieg zurückgehen zu sehen. Ich versuche zu vermitteln, dass er sich nicht verletzen muss, um Unterstützung zu bekommen. Er nickt, lächelt und ich denke, jetzt bekommt er endlich, was er braucht, die Hilfestellung im fremden Land um das, was er entschieden hat, umsetzen zu können, ein normaler, freundlicher Umgang unter Gleichen. Er hat sich bereits ein Flugticket nach Griechenland besorgt, um den umgekehrten Weg zu nehmen. Man hat ihm erzählt, man würde seinesgleichen so gerne schnell wieder loswerden, dass man ihn auch ohne gültige Ausweispapiere ins Flugzeug steigen lässt. Wir sind skeptisch, hoffen eigentlich, dass die Menschenverachtung nicht so weit geht, man wird sehen.
Am darauffolgenden Abend kommen wieder die Sirenen. Er hat sich erneut in die Hände geschnitten, dieses Mal tiefer. So einfach ist es nicht. Nichts ist einfach, gar nichts.

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