Mir, das heißt, unserem Haushalt ist ein eigenartiges Kochbuch zugeflogen: Aus Liebe zum Landleben. Kochen & Essen. Was die Natur und das bäuerliche Leben zu bieten haben. von Barbara Rias-Bucher. Oha.
Nun ist es so, dass ich einerseits keine große Affinität zum Landleben habe. Die Vorstellung, auf dem Dorf zu leben birgt für mich mehr Schrecken als die Idee, z.B. nach Tokio oder Los Angeles zu ziehen. Obwohl ich weder auf das eine noch auf das andere scharf wäre. Aber das steht ja Gott sei Dank auch nicht an.
Einerseits. Andererseits spricht mich mit zunehmendem Alter Natur an. Stille, gute Luft, Platz, Horizont. Und ich habe eine Affinität zur Idylle, zu bestimmten Arten von Idylle. Auf dieser Klaviatur spielt dieses Kochbuch meisterlich: mit Bildern und Texten, die nicht nur eine Saite in mir erklingen lassen, sondern ein ganzes Orchester. Begriffe wie Wintervorrat, Brotbacken, ‚Die Ernte ist eingebracht‘, ‚Die kürzeste Nacht des Jahres feiern‘ führen direkt am Verstand vorbei in die Tiefen meiner Sehnsüchte und Träume und lassen mich in die sorgenfreieren der Astrid-Lindgren-Szenarien hineindenken. Ich möchte Kind in Lönneberga sein, oder in Bullerbü. Oder halt tüchtige Hausfrau, zumindest was das Kochen angeht.
Das Geschmäckle dieser Ideologie hat der Verstand natürlich erfasst; aber er hat hier ja wie gesagt nichts mitzureden.
Trotz all dieser Freude hätte ich wohl bald das Interesse an dem Buch verloren, zumal es nicht unser erstes oder gar einziges Kochbuch ist. Aber – die Rezepte sind äußerst ansprechend. Regional, saisonal sowieso. Nicht raffiniert, sondern stark auf die Qualität der einzelnen Zutaten fokussiert. Und immer wieder ungewöhnliche, mir fremde Zubereitungsarten einer eher deftigen Geschmacksrichtung. Dabei wird in den Beschreibungen oft Raum für eigene Variationen geschaffen, eher eine Richtung vorgegeben als ein punktgenau abgerechnetes Mengen- und Ablaufschema geliefert.
Nur selten möchte ich aus einem Kochbuch gleich so vieles nachkochen. Eine gebackene Kalbshaxe, die vorher gekocht wird. Salzige Dampfnudeln. Semmelschmarren mit Speck. Gebratene Tomaten mit Spiegelei. Ein Quittengratin mit Pfeffer als Nachtisch mit Eis, oder als Beilage zu Wild. Quarknocken mit Mohnbutter. Maultaschen mit Roter Bete. Vermutlich werde ich Abstand davon nehmen, schwarze Nüsse herzustellen, Quark selbst zu machen oder Sauerkraut einzulegen. Ich denke aber wohl darüber nach, im nächsten Herbst Hagebutten für selbstgemachtes Mark zu sammeln und mich auf die Suche nach einem Berliner Fleischer zu begeben, der mir Schweinsfüße und -schwänze für eine Knöcherlsulz zur Verfügung stellt. Und wenn ich viel Zeit habe, beschäftige ich mich eventuell doch noch mit Sauerteig oder pflanze auf dem Balkon Kapuzinerkresse und lege die Knospen als falsche Kapern ein.
Sobald ich ein paar Rezepte ausprobiert habe, melde ich mich wieder.
Ja bitte, unbedingt. Das scheint mir als Ersatz geeignet für das Buch, welches ich bei unserem Einzug ins „Landhaus“ vor 14 Jahren als erstes anschaffen wollte: „Die tüchtige Landfrau“, gab es damals bei Manufaktum, war dann aber ausverkauft und ist nicht wieder aufgelegt worden, wahrscheinlich weil die Landfrauen im Aussterben begriffen sind. Allerdings scheinen es sich einige überlegt zu haben, aussterben kann frau ja immer noch, als die „Landlust“ als Zeitschrift zur Welt kam. Mir ist diese Art Land-Lust-Leben ein wenig zu elitär. Ich werde z.B. bei allem immer sehr schmutzig, das ist in der Zeitschrift nie jemand. Die selbstgestrickten Pullover bleiben samt mit Stempelfarbe eigenhändig bedruckten Gummistiefeln und farblich passenden Gartenhandschuhen fotogen sauber.
Dein empfohlenes Kochbuch kommt den Erfordernissen des „Verbrauchens, was gerade wächst“ offenbar sehr entgegen. Außerdem lassen die aufgeführten Gerichte meinem von einer ostpreußisch geprägten Mutter aufgezogenen Gatten garantiert das Wasser im Mund zusammen laufen.
Quittengratin mit Pfeffer käme meinem Bestreben, die Vorräte aufzubrauchen bevor sie faulenb, sehr entgegen. Danke für diesen Tipp.
Ich kann auch gerne das Rezept schicken, wenn Du magst. Stimmt, sauber ist alles in dem Buch, blitzsauber.
Mal völlig unabhängig von den Spezereien, die du erwähnst und an denen du uns demnächst hier teilhaben lassen wirst, wächst bei mir eine vage Sehsucht nach Landluft mit dem zunehmenden Alter. Das ist keine sentimentale Erinnerung an meine karge Kindheit im Schwarzwald, sondern eher das Bedürfnis nach rustikaler Entschleunigung, der dann wahrscheinlich auch etliche Sitzungen vor dem PC und den Blogs zum Opfer fallen würden.
„Rustikale Entschleunigung“ trifft es ganz gut. Und die Konzentration aufs Wesentliche vielleicht noch mit? Ich bin mir in der Tat auch nicht sicher, ob ich das Internet im Fall der Fälle dazu zählen würde.
Die Idealisierung des bäulichen Landlebens löst bei mir keine guten Gefühle aus.
Bäulich oder bläulich? Da gibt es sone und sone.
Bäulich, bläulich oder bäuerlich…Egal, die ganze anti-urbane Richtung paßt mir nicht.
„Anti-urban“ ist keine Krankheit, oder ?
Ich lebe gerne in der Stadt – aber ich merke auch, dass mir manche Seiten des Stadtlebens auf den Keks gehen. Das wird sich im Falle meiner Heimatstadt in den nächsten zehn, fünfzehn Jahren noch verstärken mit Stuttgart 21. Baustellen, Lärm, Staus, Dreck – da wird ziemlich viel Lebensqualität verloren gehen, ohne das irgendwas Wesentliches gewonnen ist. Also spielt man zwangsläufig mit dem Gedanken, ob es nicht andere Lebensentwürfe, z. B. ein Leben auf dem Lande, gibt.
Auf dem Lande heißt in unserer dicht besiedelten Republik ja nicht zwangsläufig, dass man irgendwo am Rande der Zivilisation lebt. Ich kennen Freunde, die haben ein Häuschen „draußen“, dort treffen sich die Großstädter gerne und oft zum Plauschen, Diskutieren und Feiern.
Ich will nicht unken, aber das mit der Kapuzinerkresse könnte die Blattläuse freuen.
Ich weiß, aber die kommen meist sowieso – egal ob es leckere Kresse gibt oder nicht.
Ach, mir geht es ja gar nicht darum, das Landleben in irgendeiner Weise abzuqualifizieren. Ich selbst genieße gelegentliche Landpartien ungemein und seinen Lebensmittelpunkt soll selbstverständlich jeder nach seiner Facon wählen dürfen.
Schwierig finde ich eine Idealisierung der ländlich-bäuerlichen Lebensweise, weil sie meistens einhergeht mit einer kulturpessimistischen Ablehnung des Urbanen, des Modernen, was auch immer das sein mag. In der Ideologie der Kreise um den bekanntesten deutschen Vegetarier nahm die Sehnsucht nach dem natürlichen, ursprünglichen Leben auf der heimatlichen Scholle einen breiten Raum ein und diente als Gegenentwurf zu vermeintlich dekadenten, jüdisch-intellektuellen Lebenswelten in den Städten. Auf „Reichsbauerntagen“ und Sonnenwendfeiern wurde diese Ideologie zelebriert.
Wenn ich ein Buch, wie das besprochene in den Händen halte, dann kann kommt mir eben auch diese historische Komponente in den Kopf, obwohl ich auch liebend gerne Quittengratin mit grünem Pfeffer probieren würde und mir im übrigen recht sicher bin, dass alle Kommentatoren mit der beschriebenen Ideologie nichts am Hut haben.
Solltest Du im Hinblick auf die Verfasserin jedoch Zweifel haben, kann ich Dich beruhigen: auch sie hat mit der von Dir beschriebenen Ideologie nichts am Hut.
Da Du Deinen Beitrag ja auch selbst kommentiert hast, habe ich Dich ganz großzügig zu den Kommentatoren gezählt!
[…] doch nicht in die Reihe der tatsächlich Genutzten. Trotz aller Idylle übrigens auch nicht das Landlebenbuch – in erster Linie, weil sich die paar ausprobierten Rezepte nicht bewährt haben, nicht […]